WM 2014: Eindrücke aus Brasilien und von der deutschen Berichterstattung
Morgen spielt Deutschland gegen die USA, und alle Beteiligten, die gefragt werden, beteuern, dass es keinen Nichtangriffspakt geben werde. Ein Unentschieden würde beiden Mannschaften für das Achtelfinale reichen – und ausgerechnet der ehemalige Coach der deutschen Nationalmannschaft, Jürgen Klinsmann, betreut nun das Team der USA. Ein Sieg muss also her, egal für welche Mannschaft, damit es nicht nach einer Absprache aussieht.
Besonders bitter ist diese Ausgangssituation für Ghana, die gegen die USA unglücklich verloren hatten und gegen die Mannschaft aus Deutschland – trotz guter Torgelegenheiten – nicht über ein Unentschieden hinauskamen. Michael Augustin hat das Spiel der deutschen Mannschaft gegen die Nationalmannschaft aus Ghana in einer Strandbar in Rio de Janeiro verfolgt. Er zeigt einige junge Brasilianer, die dem Fernsehen den Rücken zukehren und aufs Meer sehen. Und er berichtet über die anderen Gäste, die den Abend mit gekühltem Bier genießen und die Deutschen mit „Oliver Kahn. Ronaldo. Oliver Kahn. Ronaldo“ aufziehen.
Alle Brasilianer lieben den Fußball? Nur ein Klischee, schreibt Augustin. Allein wenn die Seleção spielt, so zeigen es die Bilder auf dem Blog Brafus2014, steht das Leben einen Moment lang still. Es sind Fotos aus der kleinen Stadt Passa Quatro auf dem Weg nach Belo Horizonte, wo Brasilien sein Achtelfinale gegen Chile bestreiten wird. Die Bilder zeigen Menschen allein oder in kleinen Gruppen vor dem Fernseher. Nach dem Spiel ist ein Autokorso auf der Straße zu sehen.
Beide Blogs suchen den spontanen Eindruck, die Dokumentation eines Augenblicks während der Fußballweltmeisterschaft. Die Berichterstattung im deutschen Fernsehen ist dagegen massiv in die Kritik geraten. Das beginnt mit den Klischees, die fortwährend reproduziert werden. Torsten Wieland schreibt darüber, wie Tom Bartels das Spiel der deutschen Mannschaft gegen Ghana kommentiert habe. Die Kommentare seien vollkommen unsachlich und zudem voller länderbezogener Klischees gewesen. In Ghanas Abwehr habe „die nackte Angst“ regiert, sobald ein „deutscher Spieler angestürmt“ sei.
Steffen Simon hatte beim Spiel Iran – Nigeria kommentiert: „Iraner sind Südländer und nicht immer ganz perfekt organisiert.“ An diesen Satz, der für Aufregung sorgte und zu einer Entschuldigung führte, erinnert Daniel Raecke, der den Bogen auf Gegendenball noch sehr viel weiter spannt. Raecke argumentiert, es ginge in der Berichterstattung permanent um nationale Zuschreibungen und darum, ein „gutes Gefühl“ zu erzeugen. Offenbar, so Raecke, solle dies darüber gelingen, dass die deutsche Mannschaft besonders stark geredet werde und gezeigt werde, wie sehr „uns“ doch die anderen Mannschaften respektieren. Da wurde etwa Luis Figo vor dem Spiel Deutschland gegen Portugal gefragt, ob die Portugiesen Respekt vor Deutschland hätten. Da rücke das Sportliche vollständig in den Hintergrund, um dem „guten Gefühl“, zu Deutschland dazuzugehören, Platz zu machen.
Auch Falk Heuermann bedauert, wie wenig Raum der Sport selbst im öffentlichen Fernsehen habe. Vor allem die Berichte zwischen den Spielen, so Heuermann, seien vollkommen belanglos. Und auch er weist darauf hin, wie Klischees reproduziert werden: brasilianische Sambatänzerinnen und afrikanische Voodoo-Zauberer. Und zehn Millionen Zuschauern wird so ein Programm vorgesetzt.
Morgen spielt USA gegen Deutschland, und die Berichterstattung und Moderation wären gerade bei diesem Spiel gefordert, fair zu sein. Doch wenn die Kritiker Recht haben, sind das bislang nicht Fehler, wie sie eben auch der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens unterlaufen können, sondern das Programm ist gezielt auf diesem Niveau angesetzt. Echter Sportjournalismus könnte Abhilfe schaffen – oder eben Versuche, abseits oder am Rand des Sports, Brasilien während der Weltmeisterschaft zu zeigen – was auch ohne permanente Klischees gelingen könnte.